Die Diagnose Morbus Parkinson kann für viele eine niederschmetterende Diagnose sein. Nach zusätzlichen Rückenoperationen erzählt Carlo, was Ihn dazu gebracht hat, doch an dem Luzerner Marathon teilzunehmen! Aufgeben ist keine Option!
- Vor einigen Jahre hast Du die Diagnose Morbus Parkinson erhalten. Was hat dies für dich bedeutet?
Nun das ist eine schwierige Frage, denn die Krankheit hat ja verschiedene Phasen. Ich wusste damals gar nicht, dass diese «Alte-Leute-Krankheit» man auch mit 39 Jahren haben kann. Klar ist man am Boden zerstört und im ersten Moment stellt man sich so blöde Fragen wie: wieso ich oder wie soll das Weitergehen?
Ich musste mir viele Antworten suchen. Was ist mit meiner Familie. Meine Kinder waren damals bei der Diagnose 10 und 7 Jahre alt. Ehe, Haus, Job, Versicherung, Zukunft – tausend Fragen. Ich konnte mal meine ganze Lebensplanung in die Tonne werfen. Und musste etwas Neues definieren, auch mit grosser Unterstützung von meiner Frau.
Aber ich hatte gar keine grosse Zeit zum Nachdenken. Irgendwie musste es ja weiter gehen. Der Sohn wollte zum Training gefahren werden, die Tochter wünschte sich ein Fahrrad. Der Alltag überrollt schnell einen, leider. Da bleibt manchmal zwischenmenschliches auf der Strecke.
Aber ich hatte gar keine grosse Zeit zum Nachdenken. Irgendwie musste es ja weiter gehen
- Anfangs 2019 kamst Du ins Medical Training Center in Emmenbrücke. Was war der Grund, dass Du dich für das MTC entschieden hast?
Der Hauptgrund war die Reha nach meinen zwei Rückenoperationen. Ich hatte Ende 2017 eine Operation, bei der mir wegen Parkinson quasi ein Hirnschrittmacher eingesetzt wurde. Sechs und neun Monate später musste ich noch zwei Rückenoperationen durchmachen, klassische Kanalerweiterungen für die Nerven. Daher konnte ich fast 1.5 Jahre nicht richtig Sport machen. Aber Bewegung ist so wichtig gegen meine Krankheit. Anfangs Januar wollte ich irgendwas Grundsätzliches ändern. Neue Physio, neue Gedanken, irgendwas. Auf Empfehlung vom Hirslanden Klinik Luzern, meldete ich mich bei Pieter.
- Wie hast Du das Aufbautraining empfunden?
Das Sportliche im Training ist das Eine. Wir fingen mit kleinen Schritten an. Selbständiges Aufwärmen, im Anschluss Training mit Pieter (Koordinativ, Stabilität, Ausdauer) und zum Abschluss selbständige Übungen für Kraftaufbau, dies jeweils 1- bis 2-mal die Woche. Es war sehr abwechslungsreich, spielerisch aber auch fordernd im gesunden Masse. Pieter sagt immer: «Wenn du das gut kannst, dann müssen wir das nicht mehr trainieren.» Also wurden die Übungen gesteigert.
Und das Menschliche ist das Andere. Pieter und ich verstanden uns auf Anhieb. Freude gehört zum Sport dazu. Wir haben viel zusammen gelacht, doch es gab auch sehr traurige Momente privater Natur. Das Lebe geht halt selten geradeaus. Das hatte ich schon früh lernen müssen. Pieter war manchmal Trainer und Seelendoktor zugleich und daraus entstand auch ein so tolles Band. Ich konnte mit seinen «Ausfall-Schritt-Übungen, à la holländischen Skater oft seinen Boden putzen, davon hatten wohl alle im Center etwas zum Lachen.
- Vor ein paar Monaten hast Du dir etwas zum Ziel gesetzt, wie kamst du dazu?
Ganz am Anfang des Aufbautrainings fragte Pieter mich, was ich eigentlich erreichen wollte. Er redete immer von Zielen. Ich dachte wieder geradeaus laufen wäre schon mal ein Anfang. Aber es war irgendwie kein richtiges Ziel. Ich joggte früher sehr viel, also sagte ich mir Luzerner Halbmarathon wäre doch was. Beim Joggen kann man viele Probleme wegverarbeiten. Zu Beginn war das auch Pieter irgendwie zu viel. Aber ich lernte ja von ihm, dass nur anspruchsvolle Ziele einen im Leben weiterbringen. Ich wollte mir etwas beweisen. Aber auch den Kindern irgendwie wieder mal ein Vorbild sein. Glauben versetzt Berge. Die ganze Familie und Freunde gaben mir den Rückhalt. Sie hatten zu Beginn Respekt, ob ich das körperlich schaffe und ich mich nicht einfach zu fest unter Druck setze. Pieter und ich einigten uns zuerst auf die 10km Strecke. Klärte alles mit meinem Neurologen ab. Und wir näherten uns Schritt für Schritt und es ging nur mit Eigendisziplin. 3x in der Woche Joggen (Di, Do, So), Freitag Physio. Ich wartete lange mit der Anmeldung für das Rennen – der Realismus lag oft im Nacken. 1.5. Monate vor dem 27. Oktober konnte ich 16km am Stück rennen. Also entschied ich mich und meldete mich an. Der 18 km Test 4 Wochen vor dem Rennen verlief auch positiv. Alle Ampeln standen auf Grün.
- Am Sonntag 27. Oktober hast Du dein Ziel verwirklichen können, wie war das für dich?
Es war ein grosses Gefühl von Stolz da und auch irgendwie eine Leere. Ich war vor dem Rennen sehr nervös, doch war ja seriös vorbereitet. Das Rennen an sich war anstrengend, aber Aufgeben war keine Option. Am Ziel in den Armen mit der Familie kann man weinen und lachen zugleich. Und die vielen Zusprüche während und nach dem Rennen freuten mich ungemein. Glauben versetzt Berge. Das konnte ich auch mir wieder beweisen. Und das innere positive Echo vom Gefühl des Erreichten halt noch lange nach. Ich habe es wirklich geschafft!
- Hast Du jemals gedacht, dass Du mit der Diagnose Morbus Parkinson und zusätsliche Rückenoperationen, solche Leistungen konntest vollbringen?
Die 1.5 Jahren ohne Sport, viel im Bett liegen nichts Richtiges tun können, zerrten schon an meiner Selbstachtung. Meine Familie und ich leben nun schon seit 7 Jahren mit dieser Krankheit. Ich setzte mir schon ein Leben lang eher anspruchsvolle Ziele.
Es war aber nicht die Sehnsucht nach 21.1 km die ich verwirklichen wollte, sondern das Gefühl etwas «Grösseres» erreichen zu können, auf sich selber stolz sein zu können und wieder Vorbild zu werden. Und wenn es nur für diesen einen Moment war, aber die Mühe hat sich gelohnt.
EXTRA!!! Intervieuw mit Carlo nach Goldmedaile an die Welltmeisterschaften Tischtennis!