Magersucht - Gramm für Gramm zurück ins Leben - Teil 1

Magersucht (Anorexia nervosa) ist eine Ess-Störung, welche insbesondere bei jüngeren Mädchen und Frauen vorkommt. Dieser Beitrag ist anders als jene die Ihr Euch von mir gewöhnt seid. Ich habe Julia gefragt, Ihre Geschichte aufzuschreiben. Im Gastbeitrag erzählt Sie Ihre Geschichte. Was hat Sie dazu bewegt abzunehmen, wie hat Sie sich selber empfunden, wie war dies für Ihr Umfeld und wie hat Sie die Magersucht überwunden?

In der Regel halten Personen mit Magersucht eine sehr strenge Diät ein oder verweigeren sogar die Nahrung. Das Selbstbild, zu dick zu sein, kann dazu führen, dass lebensbe-drohliche Situationen entstehen und eine regelrechte Belastung für die betreffende Person, aber auch für das Umfeld wird.

Mein grosser Dank geht an Julia* (*Name geändert), die Ihre Geschichte für Euch hier erzählt.

Julia: Was war der Grund weshalb ich abgenommen habe?

Damals vor 5 Jahren stand ich vor den Maturaprüfungen und musste ziemlich viel lernen. So beschloss ich, da ich ja wegen des vielen Lernens vorwiegend herum sitzen musste, all die „deftigen“ Gerichte, wie Rösti, etc. von meinem Speiseplan zu streichen. Irgendwann im Frühling kamen dann meine Mitschülerinnen auf die glorreiche Idee eine Detox-Woche zu starten, wo wir dann bloss Gemüse, Joghurt, Früchte assen.

Meine Kolleginnen machten den Quatsch genau 2 Tage mit, ich jedoch zog das Ganze durch und wollte sogar noch eine zweite Woche anhängen, da ich mit Erstaunen gemerkt hatte, wie leicht es doch war Gewicht zu verlieren. Meine Mutter verbot mir dies aber. Da ich mittags in der Kantonsschule blieb, konnte ich selber entscheiden was ich ass. Anfangs ass ich das normale Menü, dann wechselte ich zum Salatbuffet und schliesslich gab es nur noch ein kleines Vollkornbrötchen mit einem Lowfat-joghurt oder Hüttenkäse mit Ananas.

Ich möchte hier noch erwähnen, dass meinen Mutter immer sehr gesund gekocht hat. Vor meiner Essstörung war ich mit einer Grösse von fast 1.80m und normalem Gewicht, immer „gross und breit“ vorgekommen.Meine Kolleginnen waren meist einen Kopf kleiner als ich und auch eher schlank gebaut.

Irgendwann hatte ich es dann satt beim Shoppen eine M zu nehmen, während sie sich nach einer S umsahen. Ich wollte auch so zierlich sein wie sie. Anfangs nahm ich nur wenig ab, kriegte dafür Komplimente und fand Gefallen daran. Das Ganze entwickelte sich schleichend, anfangs kein Süsses mehr, dann „deftige“ Gerichte streichen, bis zu guter Letzt nur noch Gemüse auf meinem Teller landete und ich sogar dann noch das Gefühl hatte zu viel gegessen zuhaben.

Jeden Morgen auf die Waage stehen um zusehen wie viel man wieder abgenommen hatte. Daraus entwickelte sich eine Art Besessenheit, immer weniger sollte die Waage anzeigen! War das Ziel erreicht, wurde das Wunschgewicht stets nach unten korrigiert. Je weniger ich wog, desto besser gefiel mir mein Körper. Ausserdem konnte ich ihn besser wahrnehmen, schliesslich spürte ich ja nun die Knochen. Zudem mag ich es nicht, wenn ich das Gefühl habe, dass ich mich „weich, pummelig anfühle“. Hüftspeck und Co. find ich unästhetisch.

Ich bin seit jeher eine Perfektionistin, die immer das Gefühl hat, dass es noch nicht genügend ist oder nicht gut genug und dass ich doch noch mehr machen könnte. Letzten Endes habe ich meine unglaublich starke Selbstdisziplin gegen mich selbst eingesetzt um mich selber zu perfektionieren und all das loszuwerden, was ich an mir selbst nicht mochte. Leistungsorientiertheit sowie Selbstdisziplin, wurden mir schliesslich zum Verhängnis Ausserdem habe ich mein Leben gerne im Griff.

So liebe ich To do Listen, damit ich den Überblick behalte was ich alles zu erledigen habe. Dies schaffe ich dann auch. Zudem mag ich es überhaupt nicht, wenn ich nicht weiss was passieren wird, deshalb hat mir die Magersucht wohl auch eine Art Halt gegeben, da ich die jene war, die die Kontrolle über ihren Körper hatte.

Wie habe ich mich selber erlebt als ich „tief unten“ war?

Ich hatte damals als ein Zwischenjahr als Stewardess gemacht und ziemlich lange und anstrengende Arbeitstage zu bewältigen. So verbrachte ich die Mehrheit meiner Zeit im Flugzeug, dabei drehten sich meine Gedanken immer um ein Thema – Essen, oder besser gesagt – wie schaffe ich es möglichst wenig zu essen. Mit der Zeit hatte ich mir ein ziemlich grosses Repertoire an Strategien, Notlügen, etc. angelegt, mit denen ich mich durch meinen Alltag kämpfte. „Danke, ich habe schon gegessen / nein, ich habe keinen Hunger, etc. Der Crew der Businessclass erzählen, dass man mit der Crew der Economy gegessen hat und umgekehrt, Lebensmittelallergie vorgeben, damit man ja nicht von der Rahmsauce, usw. essen musste.

Weight-is-just-a-number

Geburtstagskuchen einpacken, damit man sie dann „später“ essen kann. Wenn ich nun heute daran zurück denke, muss es mich eine unglaubliche Menge an Energie gekostet haben dieses ganze Versteckspiel über all die Jahre aufrechtzuerhalten. Und pausenlos dieses schlechte Gewissen wenn man auch nur ganz wenig gegessen hatte. Das dauernde Überlegen was ich heute noch essen dürfte. Ich führte eine Art Esstagebuch, dort notierte ich meine Mahlzeiten.

Nebst Haarausfall, war ich oft müde, fror unglaublich fest, so dass ich im Winter unter meiner Uniform Thermokleider getragen habe. Später als ich zu studieren begann, hatte ich oft Schmerzen beim Sitzen, weil ich bloss noch auf meinen Knochen sass. Aber all dies ging irgendwie an mir vorbei, ich konnte meine Knochen sehen und auch spüren. Dies gab mir ein gutes Gefühl, endlich spürte ich mich in meinem Körper. Ausserdem fand ich das Bild im Spiegel schön.

Meine Familie und Freunde versuchten mir immer einzureden, wie unglaublich dünn ich doch war und dass ich krank aussehe, Beine wie Streichhölzer hätte, etc. Aber ich mochte meinen flachen Bauch, meine dünnen Handgelenke, einfach das ganze zierliche Wesen, das mir nun im Spiegel entgegenblickte. Mein Selbstbewusstsein war stark mit meinem Äusseren verknüpft.

Ich habe einen ziemlich hohen Preis dafür bezahlt, nur damit ich mich „wohl“ in meinem Körper fühlte und diesen als schön bezeichnen konnte.

In dieser Zeit habe ich mich auch sehr intensiv mit dem Thema Ernährung auseinandergesetzt und duzende Bücher darüber gelesen. Alle möglichen Diäten checkte ich durch und eignete mir so ein unglaublich viel Wissen an. Als wäre dies nicht genug, fertigte ich mir eine Liste mit allen Lebensmitteln an, inklusive deren Kalorien-, Kohlehydratanteil-, Zucker-, sowie Fettanteil. Das Einkaufen dauerte ewig, weil ich die einzelnen Produkte zuerst auf ihre Inhaltsstoffe und Co. überprüfen musste. Hatte ich dann mal zu „viel“ gegessen, hab ich mich darüber genervt und dies mit Sport wieder ausgeglichen, manchmal übergab ich mich auch.

Wenig essen und Sport… 3 Stunden hatte ich einmal im Fitnesscenter verbracht, nur um 1000kcal abzutrainieren. Mein Kalorienverbrauch lag weit von dem entfernt, was ich eigentlich gebraucht hätte. Dies bezahlte ich letzten Endes mit dem bitteren Verlust meiner Muskeln, die sich nach und nach abbauten.

Restaurantbesuche mit meinen Freunden waren einfach nur anstrengend, so dass ich anfing nach Speisekarten zu googlen um sicher zu gehen, dass ich dort auch etwas zu essen finden würde. Einladungen waren der blanke Horror, dies ging teilweise so weit, dass ich mich dann dazu überwunden habe dem Gastgeber von meinem Problem zu erzählen, damit ich das Dessert oder sonst etwas nicht essen musste.

Lese auch: Magersucht – Gramm für Gramm zurück ins Leben – Teil 2

Magersucht – hilfreiche Links

Pieter Keulen

Autor: Pieter Keulen


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Kategorie: Medizin
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